Kiel, Orange Club – Von Wegen Lisbeth

Kiel, Orange Club

Das praktische am typischen Festivalrhythmus ist bekanntlich, dass die alltäglichen Aufgaben, denen man so ungern nachkommt, sich herrlich einfach umgehen lassen. Kommt man beispielsweise nach einer Festivaltour am Montag verkatert wieder zuhause an, plant man mindestens zwei Tage körperliche und geistige Regeneration ein und stellt dann am Mittwoch erstaunt fest, dass Dinge wie Wäsche waschen, Einkaufen oder Aufräumen sich auch nicht mehr so richtig lohnen, geht es doch am Freitag schon wieder auf Tour. Nach dem langen Festivalsommer hatten sich die Jungs dann schließlich so an das heimische Nichts-Tun gewöhnt, dass die im Winter bevorstehende Konzertpause von acht Monaten eine nicht so einfach zu überbrückende Zeit darstellt. Nach stundenlangem Abwägen, Pro- und Contra-Listen und der Erkenntnis, dass man die komplette Zeit dann doch nicht mit Game-Of-Thrones-Verschwörungstheorien vor YouTube überbrücken könnte, entscheidet man sich, einfach mal schnell ein neues Album zu produzieren, so aufwändig könne das ja schließlich nicht sein.
Eventuell immer noch etwas von Game of Thrones beeinflusst, plante die Band, als ersten Konzertblock einfach nur sehr wenige Auftritte zu geben, diese sollten dafür aber mindestens Spielfilmlänge haben – man muss halt mit dem Trend gehen. Weshalb die Reise dann ausgerechnet in den hohen Norden gelegt wurde, wird wohl immer ein ungeklärtes Mysterium der Bandgeschichte bleiben.
Als man sich dann nach so langer Zeit zur Abfahrt Richtung Kiel trifft, ist der sonst so routinierten Reisegruppe Sonnenschein die Aufregung deutlich anzusehen. Julian hat tatsächlich die Bier-pro-Person-pro-Fahrt-Formel über den Winter vergessen und auch die Erkenntnis, dass man die neuen Lieder erst einmal üben muss, bevor man sie auf der Bühne präsentieren kann, trifft die Band mit aller Härte. „Geh du alter Esel, hole Fische“, hört man Matze auf der Fahrt in den Norden immer wieder wie ein Mantra vor sich hin flüstern.
Glücklicherweise sollte sich später herausstellen, dass das Publikum in Kiel extrem feierwütig und vor allem sehr textsicher ist, so dass man wohl auch mit Haydn’s sechster Symphonie in A-Moll einen stabilen Pogo in der Menge erzeugt hätte. Die vergleichsweise kleine Konzertlocation platzt dann schließlich angemessen aus allen Nähten, so dass sich schon nach dem zweiten Lied eine kuschlige Saunaathmosphäre entwickelt. Kein Problem, man hat ja nur noch 624 Lieder vor sich…
Der Auftritt wird dann aber irgendwie doch ohne Hitzschlag überlebt und man stellt fest, dass man doch eher einigermaßen Bock auf den kommenden Konzertsommer hat.

Ab in dieses mysteriöse Stralsund, auf dessen legendären 1. FC man schon seit Jahren trinkt!