Göttingen – Von Wegen Lisbeth

Göttingen 26.09.2015

Viel wurde uns vorher über Göttingen berichtet, viel gedichtet, viel gesponnen, über diese mysteriöse Stadt im tiefen Tal der Unvernunft zwischen Nordheim und Bad Soden-Allendorf. Niemand schien je tatsächlich dort gewesen zu sein, aber jeder hatte eine unfassbar verruchte Geschichte dazu auf Lager. Göttingen ist quasi das Berghain unter den Kleinstädten. Es zog uns mit seiner legendären Aura heftiger an, als der neue „Herr der Ringe“-Flipper im Bäreneck an einem Freitagabend.

Dementsprechend aufgeregt war die Stimmung als wir nach Göttingen reinfuhren. Dabei kennzeichnete sich die Aufregung dieses Mal nicht, wie sonst üblich, durch lautes Rumgebrülle und Affengeräusche, sondern es herrschte eine fast schon andächtige Stille. Die Spannung war förmlich mit den Händen zu greifen, hin und wieder hörte man jemanden nervös mit der Toffifee-Verpackung knistern, es wurde betont lässig aus dem Fenster geguckt. Macht Sinn: wenn man versucht ins Berghain reinzukommen, stellt man sich ja auch nicht hüpfend vor den Türsteher, ext zwei Flaschen Pilsator und brüllt:“Scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr“. Das macht man erst wenn man abgewiesen wurde.
Wir sind so nervös, dass wir uns komplett verfahren. Unser Navi schickt uns zu einem Laden, der aussieht wie ein Biergarten, „Biergarten“ heißt, und offensichtlich Bier in rauen Mengen an Leute ausschenkt, die in einem Garten sitzen. Wir stellen mit einem lachenden und einem weinenden Auge fest, dass es sich doch nicht um die Location handelt, wo wir heute spielen sollen. Das wäre definitiv schief gegangen.
Nach 37 Minuten im Kreisverkehr finden wir tatsächlich das Nörgelbuff. Wir atmen alle noch einmal tief durch und steigen mit zittrigen Knien die Treppen hinab in die heiligen Hallen des Rave. Wir werden vom Haustechniker Pablo begrüßt, der, wie auch unser Tontechniker Javier, aus Chile kommt, was die beiden dazu veranlasst einen spontanen Freudenstanz aufzuführen. Von diesem Moment an wird sich nur noch auf spanisch unterhalten. Gar kein Problem für Robert und Doz, die sich mit ihren überragenden Spanischkenntnissen bestens integrieren und eine spannende Unterhaltung über Brecht und seine Affäre mit Helene Weigel initiieren.
Robert: „Papasito?“
Doz: „Ahh…papasito..si…si..“
Robert: „Uiuiuii, mamasita!
Doz: „Ahh, qué rico….mamasita…“
Robert: „Mamasita!“
Doz: „Mamasita!“

Die Bühne ist eng aber sehr nice, wir quetschen irgendwie einen Soundcheck auf’s Parkett, begrüßen die Boys von unserer heutigen Support-Band „Wir bringen kalten Kaffee mit“ und gehen Pizza essen. In der Calzone steckt mehr Käse drin, als in den gesammelten Werken Thilo Sarrazins, weshalb wir nur die Hälfte schaffen, uns den Rest einpacken lassen und zufrieden und satt zurück zum Nörgelbuff schlendern. An der Tür werden wir aufgehalten: „So kommt ihr hier aber nicht rein“, sagt die Dame am Einlass. Da war er also endlich, der Berghain-Moment. Obwohl wir wissen, dass Diskussionen mit dem Türsteher ungefähr so fruchtbar sind, wie diese Salzwüste in Bolivien (Der „wie-deine-Oma-nach-den-Wechseljahren-Vergleich“ war uns irgendwie zu sick), geben wir nicht auf und haken nach: „Ähm..warum denn nicht?“
„Wegen des Zwiebel-Geruchs“
Das leuchtet uns ein, wir gucken uns verlegen an, versprechen sofort ein Deo zu organisieren und die Socken zu wechseln.
„Von der Pizza! Eure Pizza da in dem Karton stinkt nach Zwiebeln!“
Wir sind ein bisschen beleidigt, dass uns dieser Teigfladen so frech die Show gestohlen hat, gleichzeitig aber auch ein bisschen erleichtert, dass wir doch nicht so übel riechen wie wir dachten. Noch nicht. Zwei Stunden später sind wir pitschnass und riechen vermutlich heftiger, als jeder Zwiebelkuchen. Das Konzert war richtig nice, der Laden rappelvoll, Göttingen macht Spaß!

Nach der Show sind wir dermaßen im Arsch und haben dazu auch noch das Problem, dass wir am nächsten Tag saufrüh aufstehen müssen, sodass wir den Abend für bisherige Tourverhältnisse äußerst gediegen ausklingen lassen. Keine Kneipe, kein Club, kein Hula-Hoop-Wettbewerb. Göttingens mysteriöses Nachtleben muss ein anderes Mal erkundet werden. Ziemlich gute Taktik von diesem Göttingen, macht sich einfach rar und behält dadurch seine aufregende, verruchte Aura. Wir sind richtig spießig geworden. Wir fahren in unsere Doppelhaushälfte, bringen die Kinder ins Bett, gucken den Tatort von letzter Woche, flüstern unserer Frau noch ein „Ich lieb dich, Schatz“ ins Ohr und schlafen glücklich und zufrieden ein.
Danke Göttingen! Nächster Halt: Sparkasse

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