Berlin, Columbiahalle – Von Wegen Lisbeth

Berlin, Columbiahalle


Ein typischer Tourblog müsste etwa folgendermaßen beginnen: Die Sonne versinkt langsam im Horizont, als sich die Reisegruppe Sonnenschein am Nightliner trifft, gespannt, was sie auf der langen Reise in die unbekannten Weiten der Republik erwartet. Die Columbiahalle in Berlin hingegen liegt für alle in gemütlicher Spaziergangsentfernung, der Notfallplan für den Rückweg besteht darin, sich einfach an der Hasenheide vorbei den Berg hinunterzurollen (bloß nicht durch die Hasenheide, die ist gefährlich, hat Oma immer gesagt). Matze gelangt also in drei großen Ausfallschritten von der Wohnungstür zur Location (das vorkonzertliche Aufwärmprogramm sieht er damit als absolviert an), Julian biegt auf seiner Joggingstrecke einfach frühzeitig rechts ab und Doz schafft es mit einer Akkuladung seines Segways von Zuhause zur Bühne. Aus Prinzip vergisst jeder zwei bis drei Dinge zuhause, einfach nur um zu zeigen, dass es kein Problem ist, nochmal zurückzufahren.

Die Vorbereitung auf das Doppelkonzert verläuft dann ein bisschen schwierig: Im Backstagebereich der Location wurden Fotos etlicher bekannter Künstler aufgehängt, die im Laufe der Jahre in der Columbiahalle gespielt haben. Jeder Weg von der Garderobe Richtung Bühne wird also von unzähligen Verbeugungen vor dem jesusgleichen Abbild Snoop Doggs unterbrochen. Matze schwört, während er sich bekreuzigt, ein ehrenvoller G und Hustla zu werden.

Zum Glück ist man für die Konzerte in der Berliner Columbiahalle nicht an den normalen Zeitplan gebunden. Anstatt wie sonst üblich morgens anzureisen und den gewohnten Aufbau-Soundcheck-Gymnastik-Konzert-Abbau-Plan strikt einhalten zu müssen, hat man die Columbiahalle einfach schon Tage vorher geentert, um genug Zeit zu haben, die epochale Bühnenshow zu verwirklichen, Stagedivechoreographien vom 1. Rang der Halle einzustudieren und möglichst oft an dem „Von-Wegen-Lisbeth-Sold-Out“-Schild vorbeizukommen. Man könnte also auch folgendermaßen formulieren: Die Band zieht für einige Tage in ein voll renoviertes Apartment in Laufnähe zum Kreuzberger Bergmannstraßenkiez, Parkplatz inklusive, Mietlänge bis folgenden Sonntag – irgendwo hab ich das schon mal gehört…

Der neue Hintergrund des Bühnenbilds, bestehend aus schwarzen und weißen, drehbaren Panels, bietet dann doch ungeahnt viele Möglichkeiten, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Julian schlägt vor, beim Konzert einfach auf das Spielen der Lieder zu verzichten und stattdessen eine 90-minütige Runde Glücksrad zu veranstalten, Robert setzt sich dafür ein, im Fight-Club-Stil für Sekundenbruchteile Penisbilder einzuspielen und Matze lässt sich nur schwer von dem Gedanken abbringen, den alten „Wer-das-liest-ist-doof“-Spruch wieder zu reaktivieren.

Exkurs: Mit dem neuen Bühnenbild geht auch der Abschied der alten Requisiten einher. Nicht nur den Jungs fällt es schwer, den vielen Pflanzen nun ein für alle Mal „Lebe wohl“ zu sagen. Wie in zahlreichen Tierdokus gelernt, ist es nicht damit getan, die Pflanzen einfach in ihren natürlichen Lebensraum zu entlassen. Über die Jahre haben sich die einst wilden Kreaturen des Dschungels viel zu sehr an den Menschen gewöhnt und würden in ihrem eigentlichen Habitat innerhalb weniger Tage verkümmern. Vorschläge, wie Palmen resozialisiert werden könnten, die sich jahrelang treu im Uhrzeigersinn gedreht haben, werden liebend gern entgegengenommen.

Zu den Konzerten lässt sich tatsächlich einfach nichts Ironisches schreiben. Die Columbiahalle ist voll von vorn bis hinten. Es werden 46 Grad im Schatten gemessen, die Luftfeuchtigkeit lässt das Regenwaldgefühl wieder aufleben. Man feiert eine rauschende After-Show-Party, die ja zugleich eine Pre-Show-Party ist und ehe man es sich versieht, ist schon wieder nächster Abend und die Columbiahalle ist erneut voll. Die Konzerte machen definitiv Bock auf den Festivalsommer und irgendwann in weiter Ferne soll ja der Legende nach auch eine sogenannte „Tour“ stattfinden. Bis dahin heißt es Detox und das Zimmer (Columbiahalle) aufräumen. Papa hat gesagt, es sieht aus wie Sau.

Zeichen, an denen man zweifelsfrei erkennen kann, dass man in Berlin spielt:

Die Gästelisteschlange ist in etwa doppelt so lang wie die am Einlass.
Die circa 462 Berlinanspielungen in den Songtexten werden verstanden.
Na wat weeß ick denn, woran man dit noch merkt, wer sacht denn, dass dit immer drei Dinge sein müssen.